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Gier nach neuen Medien

| Prof. Martin Kreyßig

Von unseren Hauptstadtkorrespondenten Robert Boehm und Martin Kreyßig

Im Wintersemester 2017 stand wie in jedem Jahr für die im fünften Semester studierenden Studenten des Bachelorstudiums Medieninformatik eine Exkursion auf dem Programm. Auch den Immatrikulierten im darauf aufbauenden Masterstudiengang Medien- und Spielekonzeption war die Möglichkeit zur Teilnahme gegeben.

Ziel der Bildungsreise war in diesem Jahr Berlin: so erwies sie sich nicht bloß als unterhaltsame Abwechslung zum Studienalltag und gab – besonders den frisch eingeschriebenen Masterstudenten – Gelegenheit, einander kennenzulernen. Vielmehr eröffnete der Besuch der Hauptstadt vielfältige neue Perspektiven.

Mit nur zwei Übernachtungen und zahlreichen Programmpunkten bot die Exkursion ein straffes Programm. Trotz der Kürze gab es viel zu sehen, zu hören und zu lernen – der Ausflug glich mit seinen Impressionen einer Intensivkur mittels Kunst und Wirtschaft.

Der erste Tag – Dienstag der 14.11.2017 – begann gleich nach der Ankunft in Berlin mit dem Besuch der C/O Galerie – spezialisiert auf Fotografie.

Die Teilnehmer erwartete dort eine Führung durch die beiden aktuellen Ausstellungen. Bei der ersten handelte es sich um die unter dem Motto „Message to the Future“ zusammengestellte Werkübersicht des amerikanischen Fotografen Danny Lyon. Auf direkte und sehr persönliche Weise setzen sich dessen hauptsächlich in den 1960er und 70er Jahren entstandenen fotografischen Werke mit sozialen Missständen und politischen Umbrüchen in den USA auseinander.

Thema der zweiten Fotoausstellung waren die Bilder Willi Ruges: eines in den Jahren der Weimarer Republik aktiven deutschen Fotografen und Gründer der ersten deutschen Bildagentur. Dessen visionäre Experimente – etwa die Aufnahme von Fotos seiner selbst während eines Fallschirmsprunges – loteten Möglichkeiten einer neuen Medienwelt aus: und nahmen so etwa die aktuelle Praxis des Selfie-Schießens vorweg. Dem Gegenüber standen seine entfremdenden Darstellungen von Alltagsgegenständen, in gewisser Hinsicht ein frühes deutsches Gegenstück zur amerikanischen Pop Art oder der italienischen Pittura Metafisica.

Nach der C/O Galerie ging es – wobei die Reihenfolge bei den in Gruppen aufgeteilten Studierenden variierte – ins Deutsche Historische Museum, genauer gesagt in die Ausstellung „GIER NACH NEUEN BILDERN“. Deren Fokus lag auf visuellen Medien vor dem Aufkommen von Film und Fotografie vom 17. bis ins 19. Jahrhundert: Voyeurismus, Satire, Sensationspresse, Propaganda bis zu den ersten Comicstrips in handgezeichneter Form.

Die dritte Ausstellung fand sich im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst. Den Exkursionsteilnehmern stand es frei, dessen Sammlung nach eigenem Ermessen zu erkunden. Dabei gab es viel zu entdecken: von „Andy Warhol‘s Mao Tse Tung“ bis hin zum frei begehbaren „Amazonas Shopping Center“ samt zugehöriger Reality-Soap im eigens eingerichteten Kino. Diese aktuellen, zumeist filmischen Arbeiten waren Teil der Ausstellung „Preis der Nationalgalerie 2017„, die vier Künstlerinnen präsentierte. Zahlreiche Arbeiten von Joseph Beuys gaben der – hier bereits als Intensivkur betitelten – Exkursion mit ihrem therapeutischen Kunstverständnis endgültig einen medizinischen Anstrich – eine hohe Dosis Kunst als gesunder Ausgleich zum kontemplativen Idyll Wernigerodes.

Willkommenes Kontrastprogramm war auch das frei erforschbare Berliner Nacht- und Kneipenleben. Einen sicheren Hafen in der brodelnden Großstadt bot die Jugendherberge – ein heimeliger Altbau am Ostkreuz, frisch renoviert, mit exzellentem Frühstücksbuffet.

Der zweite Tag stand ganz im Zeichen des drohenden Berufseinstieg. Den Plan bestimmten zahlreiche Firmenbesuche – einige gemeinsam, andere in Gruppe entsprechend der individuellen Interessen und Vorlieben.

Den Anfang machte der unabhängige Entwickler von Videospielen YAGER: mit Titeln wie „Spec Ops: THE LINE“ oder „Dreadnaught“ alles andere als ein kleiner Fisch. Den Studierenden stellten sich mehrere Mitarbeiter vor, unter anderem Fridtjof Kühn, Absolvent des Medieninformatik-Studienjahrgangs 2004. In Gestalt von Fragerunden war es möglich, sich über spezielle Aspekte des Unternehmens zu informieren. So konnten auch Belange angesprochen werden, die unmittelbar in Verbindung mit den persönlichen Zukunftsplänen und -vorstellungen stehen.

Anschließend stand das auf Mobile-Games spezialisierte Studio Wooga auf dem Programm. Ähnlich wie bei YAGER stellte sich das Unternehmen vor und seine Räumlichkeiten wurden besichtigt – im Fall von Wooga eine weitläufige, dreigeschossige Loft mit Dachterrasse, halb konzentrierter Arbeitsplatz, halb Party-WG mit dem Look einer Ikea-Spielecke. Den Einblick bei Wooga hatten die Alumni Patrick Kulling (MI-Jahrgang 2007), Peter Höche (MI-Jahrgang 2004) und Ludwig Lauer (MI-Jahrgang 2011) dankenswerterweise organisiert.

Nach diesem Einblick in zwei Player der Spieleindustrie standen andere Wirtschaftszweige auf dem Plan und die Studierenden teilten sich auf. Eine Gruppe besuchte die eCommerce Firma mgm Technology Partners GmbH, in der Philipp Müller (MI-Jahrgang 2011) seit kurzem arbeitet. Ein Mitglied der Geschäftsleitung begrüßte die Studierenden mit einer Einführung in das international tätige Unternehmen und stellte die Vorteile langfristiger Kundenbindung und stetiger Produktentwicklung vor. Anschließend berichtete Philipp von seinem Werdegang und den Möglichkeiten als Absolvent der Medieninformatik sich sowohl als Gestalter, als Programmierer oder im Bereich des Projektmanagements zu positionieren. Der Reigen schloß nach belegten Brötchen und Betriebsbesichtigung mit einem Vortrag zur Businesssoftware A12 von mgm.

Eine andere der besuchten Firmen war schnellebuntebilder, ein Studio für Animation und Interaktion, das unter anderem für die Lichtinstallation bei der Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie verantwortlich zeichnete. Diesen Kontakt hatte Prof. Daniel Ackermann organisiert, denn die schnellenbunten Jungs haben ebenfalls an der Burg Giebichenstein in Halle/Saale studiert.

In der Effekt-Etage GmbH  begrüßten Daniel Bloßfeld-Kipping (MI-Jahrgang 2008) und Geschäftsführer Björn Kowalski mit extrem aufgeräumten Bildern aus Werbefilmen, car-configurators, CGI- und interaktiven Anwendungen, auch im Bereich Mixed Reality. Daniel hatte hier als Praktikant begonnen und seinen Bachelorabschluß als Werkstudent gemacht – dabei übernahm Björn Kowalski die Rolle des Zweitprüfers. Heute arbeitet der Medieninformatiker als Senior Digital Consultant. In den Räumen der Effekt-Etage am Leuschnerdamm schaute auch Christian von Schassen aka Stotti (MI-Jahrgang 2000) vorbei und hielt den Studierenden einen kurzweiligen Vortrag über mögliche Wege und Hürden beim Berufsstart. Derzeit als Director Enabling Services in der eCommerce-Firma Spryker Systems GmbH angestellt, hat Christian in seiner beruflichen Karriere ca. 1000 Bewerbungen bearbeitet – und konnte mithin den Studierenden beider Studiengänge besonders hilfreiche Tipps liefern.

Bei Idagio GmbH empfing der iOS Entwickler Mattes Groeger (MI-Jahrgang 2003) die Dozenten und Studierenden aus Wernigerode. Mit ihrem Streaming Service und der Suchplattform, speziell für Klassik entwickelt, wurde ein ästhetisch besonders gelungenes Produkt des StartUp-Unternehmens präsentiert. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit den Themen UI/UX und verlustfreie Komprimierung.

 

Besonders interessant war der Kontakt zu in den Unternehmen tätigen ehemaligen Wernigeröder Studenten, die zumeist auf XING oder bei LinkedIn zu finden sind. Er eröffnete die seltene Chance, aus erster Hand zu erfahren, welche beruflichen Möglichkeiten die eigene Ausbildung tatsächlich bietet – und somit auch, welche im Studium erworbenen Kenntnisse für die eigene Laufbahn von Bedeutung sind.

Am Abend des zweiten Tages wurde gemeinsam im Umspannwerk Ost gegessen, einer zu Restaurant und Kulturstätte umfunktionierten ehemaligen Maschinenhalle. Wo ehedem gewaltige Transistoren vom Strom der Stadt gesummt hatten, labten sich die Exkursionsteilnehmer_innen, Dozenten und Alumni nun an einem – nach dem dichten Tagesprogramm sehr willkommenen – Drei-Gänge-Menü.

Bevor es am dritten Tag zurück nach Wernigerode ging, besuchten die Studierenden das Deutsche Technikmuseum. Zu besichtigen stand dort unter anderem eine Ausstellung über Vernetzung und Digitalisierung. Die Exponate dabei reichten von Spionagebrieftauben aus dem Ersten Weltkrieg bis hin zu modernsten Themen: etwa speziell konzipierte Kleidungsmode, die eine automatische Personenerkennung ihres Trägers unmöglich machen soll.
Als Höhepunkt und Abschluss hörten die Studierenden einen Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Coy, Legende der Informatik und Emeritus der Humboldt-Universität, über Geschichte und Entwicklung der vernetzten Welt – der mit ungewohnt historischen wie politischen Verbindungen und tiefgreifenden Einblicken zahlreiche Denkanstöße bereithielt.

Anschließend ging es per Bus wieder in Richtung Harz. Die diesjährige Exkursion hat ihren Abschluss gefunden – doch es gilt, viele Eindrücke zu verarbeiten, in Pläne umzusetzen und praktisch anzuwenden: wofür das laufende Semester umfassend Optionen bietet.

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