Hybrid, Hydra, Hypermedia
Immer wieder werden wir gefragt: Was ist eigentlich Medieninformatik? Wo lehrst Du? Was studierst Du, oder hast Du studiert? Bei einem wirklich jungen Fach wie der Medieninformatik ist das erlaubt und notwendig. Wir versuchen unsere Position im Konzert der Studienangebote zu finden, das Berufsbild ist flexibel, muss in der technischen Entwicklung immer wieder neu befragt werden. Neutral kann man es so sagen: Medieninformatik ist das, was Du daraus für Dich machst.
Dabei hatten die Gründer an der FH Furtwangen sehr konkrete Vorstellungen, als sie 1990 den ersten Studiengang ins Leben riefen. Es ist ein Teilgebiet der Informatik, es umfasst auf der digitalen Plattform Computer alle Medien, mithin ist Medieninformatik Multimedia. Als Eberhard Högerle und Helmut Eirund den zweiten Studiengang Medieninformatik in Deutschland 1993 an der HS-Harz aus der Taufe hoben, legten sie gesteigerten Wert auf die Gestaltung, was bei uns bis heute so geblieben ist: fifty-fifty, 50% Informatik der Medien und 50% Gestaltung der Medien.
Medieninformatik ist also ein Hybrid, eine demokratische Hydra, die digital befriedete Form dieses neunköpfigen Wesens, dessen Köpfe heute mit einander kommunizieren. Medieninformatik beinhaltet historisch betrachtet sehr heterogene Arbeitsfelder – etwa Text, Grafik, HCI, Softwaretechnologie und Film -, die auf den digitalen und vernetzten Plattformen zusammen wirken und deren Produzenten und Kreative in der Herstellung gemeinsam arbeiten müssen. Medieninformatiker wirken als Mittler, sie arbeiten als Go-Between.
Der gleichnamige, streng komponierte Film „The Go-Between“ GB 1970 von Joseph Losey (1909-84) spielt 1911 und erzählt die Geschichte eines Jungen, der Botschaften zwischen zwei Liebenden überbringt, die sich aus Gründen des Klassenunterschieds nicht lieben dürfen. Der Film gerät im Verlauf zunehmend komplexer, da er eine zweite Zeitebene einführt, die man als „flash-forwards“ also vorausschauende Blenden bezeichnet. Dieses Verschalten unterschiedlicher Handlungsebenen in einer Art „Zeitnetz“ war die Idee des englischen Dramatikers Harold Pinter, der das Drehbuch schrieb und diese Idee für sich reklamierte: „Ich hatte alles auf eine kontinuierlich ablaufende Dramatisierung der zentralen Geschichte über den kleinen Jungen und das Liebespaar konzentriert. Was ich aber jetzt an der ganzen Sache am aufregendsten finde, ist die Rolle der Zeit, die Vernichtung von Zeit durch die Rückkehr des Mannes auf die Szene seiner Kindheitserfahrungen.“ (Harold Pinter, zit. nach Peter W. Jansen in: Joseph Losey, München 1977, S. 139 f.; dort zit. nach John Russel Taylor in: Sight and Sound, Vol.39, Nr. 4 Herbst 1970, S. 203)
Auf der Ebene der vierten Dimension, der zeitlichen Ausdehnung von Ereignissen ist Multimedia angesiedelt, durchaus die Kerndisziplin der Medieninformatik, da hier alle Gewerke miteinander verschaltbar sind: diskrete und kontinuierliche Medien in den Prozess der Exploration. In dem Jahresprojekt für das Hitzacker Museum war es die Aufgabe neben HCI, GUI und Datenbanken, Text, Fotografie, Film und Ton, 3D-Modelle und interaktive Karten zu gestalten und programmiertechnisch zu integrieren. Kontinuierliche und diskontinuierliche Medien bilden eine gemeinsame Attraktion für den Zuschauer, der jetzt partizipierender, aktiver Teilnehmer ist, gleichzeitig Spieler und Wissensreisender. In multimedialen Welten kann sich der Betrachter nicht mehr zurücklehnen, er soll und muss die Inhalte erobern, explorieren, erfahren, erlaufen, muss sich aktiv verhalten.
Medieninformatik ist genau das: Präsenz aller digitalen Medien und Zeitformen, Dialog aller Medien auf gemeinsamen Oberflächen und Aktivierung der Nutzer durch oszillierende Handlungsräume. Jeder unserer Studierenden und Absolventen kann in diesem weiten Feld einen Platz finden, nur eines machen alle: Übermittlung und Design von Informationen.