Militainment
Ich bin Sascha Reinhold dankbar für seinen spannenden Artikel zum Thema Spiele von und für Jedermann. Besonders weil er hervorhebt, wie die zunehmende Zahl von Anwendungsinformatiker die zukünftige Entwicklung von Spielen auf vielen Ebenen beeinflussen wird. Und vollkommen zurecht zieht er den Vergleich zu der Entwicklung im Bereich der Fotografie und des Films.
Der Zufall – der ja keiner ist – spielte am vergangenen Sonntag eine Reportage zum Thema Militainement im DLF mit dem Titel „Kriegsspiele„. Das Konzept der Sendung stammt von Jan Lublinski, ich möchte nur den Aspekt des Trainings herausgreifen. Das Militär sucht Piloten, die nie vom Erdboden abheben werden. Sie sollen Drohnen fliegen, also ferngesteuerte, unbemannte Flugzeuge die weit in den „feindlichen“ Gebieten eines vollständig asymmetrischen Krieges gezielte Schläge gegen Personen und Objekte ausführen. Eine konsequente Fortentwicklung der Waffentechnik, um mittels distanziert eingesetzter Waffen die eigenen Verluste zu minimieren. Während in Schlachten des frühen Mittelalters die Soldaten sich auf einem Schlachtfeld trafen, das gebotene Schlachten verrichteten, um am Ende gemeinsam Sieger und Name der Schlacht festzulegen – Tod und Schmerz traf mithin „nur“ die Soldaten -, sind heute in kriegerischen Auseinandersetzungen mehr als 95% Zivilopfer zu beklagen. In dieser Hinsicht ist der Einsatz von Drohnen für das Militär konsequent.
Gesucht werden nun junge Menschen aus dem Personenkreis der Hardcoregamer (vielleicht Spezialisten in Spielen wie Americas Army), die den Job übernehmen, da deutlich zu wenig geeignete „Piloten“ zu finden sind.
Spielen in Bezug auf diese Art von Videogames heißt also, auch für den Ernstfall trainieren, nämlich den der Rekrutierung. Für diese vertikale Spannung, die aus dem heiligen Ort Spiel und Simulation in eine visuell vollkommen gleich dargestellte Wirklichkeit führt, trainiert der begeisterte Spieler und kann mit den antrainierten spielerischen Fähigkeiten zukünftig seinen Lebensunterhalt verdienen.
Steven Johnson weist in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Everything Bad Is Good For You“ nach, wie moderne digitale Medien die Möglichkeiten des Menschen verändern, indem sie ihn für aktuell geforderte Tätigkeiten disponieren.
Disposition aber ist das Stichwort dieser kleinen Debatte, denn es besagt, dass etwa das Großhirn des Menschen in einer bestimmten Periode der Evolution besonders an Masse, Gewicht und Faltung der Oberfläche zugenommen hat, dies aber nicht zu komplexeren Werkzeugen oder Fertigkeiten führte. Denn primär diente diese Entwicklung der Ableitung von Wärme bei langen Jagden in der Hitze Ostafrikas. Je größer die Oberfläche, desto besser verteilt sich die Wärme. Erst viel später in der Evolution wurde diese enorme Zunahme des Großhirns an Volumen- und Oberfläche für hochkomplexe Verarbeitungsprozesse nutzbar.
Optionen sind also Trainingsstunden in einer Disziplin, die vielleicht erst in der Zukunft gefragt ist. Ein Nutzungsszenarium, das noch niemand kennt. Videogames trainieren neben der verbesserten Auge-Hand-Koordination besonders das Wissen um die logischen Strukturen eines virtuellen Environements. Die Spieler trainieren also Fähigkeiten, die, ja, die … die man eigentlich nicht nutzen sollte, wenigstens nicht in der Wirklichkeit.
Zu empfehlen sei in diesem Zusammenhang das Buch „Militainment, Inc.“ von Roger Stahl, der die Zusammenhänge zwischen dem militärisch-industriellen Komplex, der Medienindustrie, deren Produkte und unserer geliebten Popkultur (Popular Culture) beschreibt.