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Ausstellungseröffnung mit Fotografien von Tim Bruns in der Villa der Hochschule Harz

| Prof. Martin Kreyßig

Am 9. Dezember 2015 wurde in der Villa der Hochschule Harz die Ausstellung mit neusten Fotografien von Tim Bruns eröffnet. Der Absolvent des Studiengangs Medieninformatik (Jahrgang 2008) konnte auf Reisen nach Japan und die USA sein bildnerisches Werk weiter entwickeln und zeigt derzeit Fotografien, die in besonderer Art bearbeitet sind. Prof. Martin Kreyßig hielt eine kurze Rede zur Einführung, die wir vollständig publizieren.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kommilitonen,
Lieber Tim,

Was schaut uns an von den Wänden der Villa der Hochschule Harz? Berühmte Orte, heilige und profane Zonen, aufgeladen mit touristischen Reizen – Weltkultur.
Mehrfach überlagerte Motive, in Wiederholung zu einem digitalen Negativ kompiliert – wir erkennen die Handschrift endloser Vervielfältigung. Darin Menschen, die sich in der Geste des Fotografierens üben, die sich vor dem eigenen Objektiv oder dem anderer Knipser in Pose werfen, aufstellen und eine Ordnung bilden. Diese Gruppen fotografierender und fotografierter Personen verschmelzen in einem gemeinsamen chromatischen Tonus mit den Kultstätten zu einer multiperspektivischen, und vielschichtigen Gemengelage, die ich zu entfalten suche.

Betrachten wir den touristisch anmutenden Hintergrund: Grand Canyon, der Buddha von Kamakura oder Angkor Wat.
Man ist versucht – besonders an einer Hochschule mit Studienschwerpunkt Tourismus – über den ersten überlieferten touristischen Text von Francesco Petrarca aus dem 13. Jahrhundert zu sprechen. Dieser Einstieg erlaubt, die Motivlage zu erörtern, warum Hunderttausende sich aufmachen, Kultstätten als touristische Destination zu erobern sowie die fotografische Selbstinszenierung der Besucher vor Ort zu verstehen.
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit die Studierenden dieser Studienrichtung mit der demutsvollen Haltung des mittelalterlichen Denkers Petrarca vertraut sind, wenn er nach dem Aufstieg auf den Mont Ventoux in Südfrankreich in tiefe Zweifel verfällt, warum man eine weitgehend sinnlose Wanderung unternimmt, die zum Ziel hat, sich an der Bewegung, dem Blick nach Italien und der Überwindung körperlicher Widerstände zu erfreuen.
Petrarca öffnet auf dem Gipfel ein kleines Buch, die Bekenntnisse des Augustinus – wirklich gute Literatur passt in jede Tasche – und den Glücklichen springt die richtige Stelle an, die bis heute nichts an Aktualität eingebüsst hat:

„Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die breit dahinfließenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne und vergessen darüber sich selbst.“

Was weder Augustinus noch Petrarca ahnen konnten: Die Selbstvergessenheit der Menschen ist steigerungsfähig, indem sie von sich selbst am Ziel, in der heiligen Zone, im Zimmer ihrer Wünsche ein fotografisches Portrait anfertigen, um ein Artefakt als Trophäe mit nach Hause zu nehmen: Die Fotografie als Beweis ihrer Anwesenheit an geweihter Stätte, aufgeladen mit Hoffnungen, die von der Reiseagentur kommunizierte Ewigkeit des Ortes werde sich magisch wie eine zweite Haut auf sie übertragen.

Das griechische Wort „fotografein“ meint wörtlich „mit Licht schreiben“. Der Begriff taucht zuerst im 11. oder 12. Jahrhundert in einem mystischen Text auf, in dem es um die ‚visio dei‘, das Sehen Gottes geht. (Valentin Groebner, Ich-Plakate, S. Fischer 2015, S. 126f.)
Wir fragen uns: Wer mag der Gott sein auf diesen Fotografien und was sieht er?

Die fotografischen Kompositionen von Tim Bruns bestehen aus vielfach übereinander gelegten Ebenen, die mit unterschiedlicher Sättigung, Transparenz oder Trübung, räumliche Gliederung versprechen. Sie erinnern darin an das Palimpsest, jene Pergamente, die aus Mangel mehrfach beschrieben wurden. Man radierte oder wusch die Häute ab, um sie von Neuem zu überschreiben. So entstanden Texte wie Sedimente, Wissensablagerungen, die als Zeitreise anmuten, wenn man in die Unlesbarkeit versunkender Schreibspuren zurückwandert.

Tim Bruns nutzt für seine Arbeiten eine eigene Fotografie, für die Komposition greift er auf Fotografien Dritter zurück, die er bei Flickr oder Google findet. Die ausgestellten künstlerischen Arbeiten sind mithin Kompositionen geteilter Autorenschaft und geteilter Aufmerksamkeit. Sie zeigen in multiperspektivischer Technik Orte, die unter der Unzahl ihrer Abbildungen zu verschwinden drohen.
Betrachten wir die zweite Werkgruppe.

Ri–Gi–La–Gin – Re–Si–Lu–Pe–Va–Ma

Wenn wir diesen Song anstimmen, während wir uns vom Rhythmus der Treppenstufen in das 1. Stockwerk tragen lassen, haben wir die Entstehungsgeschichte der quadratischen Naturstudien, die das Treppenhaus der Villa zieren, bereits verstanden.

Tim Bruns fotografiert ein Seestück und jagt das romantische Szenario durch die Filterkaskaden von Instagram. Mit pseudo-chemischen Formeln verzaubert entstehen unendliche Permutationen des immer gleichen Sujets, dessen Stimmung mit programmierten Algorithmen das Sehnsuchtsmotiv in Farbe, Intensität, Körnigkeit und in der Kombination mehrerer Verfahren verändert.
Eine Alchemie des Zufalls. Denn Informatiker programmieren diese Filter und Marketingexperten entscheiden, welche Werkzeuge die Nutzer einsetzen dürfen. Erschreckender Positivismus, denn diese Filter werden nach den Vorlieben der Nutzer designet, also keine ästhetischen Überraschungen, sondern Sicherheit im Geschäftsmodell. Readymades aus der visuellen Retorte für Hobbyfotografen, die aus dem Knipsbild ein künstlerisches Motiv kreieren möchten, das ein wenig Individualität ohne gestalterisches Wagnis verspricht.

Wir sind im Niemandsland der Kunst angekommen, hier wechseln die Signaturen, shiften die Autoren, variieren Identitäten und fotografische Werke lassen sich jederzeit umfärben. Aber war das nicht immer schon so?

Tim Bruns zeigt einerseits, wie jeder von uns zum kreativen Nutzer wird, aber die Ausstellung widerspricht in ihrer Geste des räumlichen Ausstellens dem schnellen Upload für die Community. Der Unterschied zwischen Nutzer / User und dem traditionellen Autor zeigt sich – gegenüber dem beliebigem Klicken in einer App – in Suche und Ausdauer, in der Intensität, besonders im Zweifel, im Widerspruch und in der Aufrichtigkeit ein Ergebnis immer neu zu befragen, zu verändern, noch einmal und noch einmal zu verbessern – bis die Entscheidung öffentlich werden darf. Zum Beispiel heute Abend in dieser Ausstellung.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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